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Vietnams fast vergessene Kino-Epoche

Sen Nguyễn lebt heutzutage in einem ruhigen Vorort von Melbourne, Australien. Jedoch hat die 70-jährige noch lebendige Erinnerungen an ihr Leben in Südvietnam in einer Stadt 60km südlich von Saigon, als sie in dem Kino in Tân Hiệp arbeitete, das ihrer Familie gehörte.

Das Kim Quang Kino wurde von ihrem Vater, ein Unternehmer, im Jahr 1955 gegründet und bis in die Nachkriegszeit betrieben. Das Lichtspielhaus ging unmittelbar ein Jahr nach der Unabhängigkeit von den Franzosen in Betrieb.

Doch das Ende Indochinas, was auch die Teilung Vietnams bedeutete, war auch der Beginn eines neuen Bürgerkriegs zwischen dem kommunistischen Norden und dem freien Süden. Der Vietcong und andere kommunistische Sympathisanten verübten regelmäßig Terrorattacken auf die Bevölkerung Südvietnams, um den Staat zu destabilisieren. Bombenanschläge, Schießereien, Handgranatenangriffe oder Entführungen mit tödlichem Ausgang waren keine Seltenheit.

„Ich wusste, dass es eine Zeit gab, wo mein Vater viele Filme wegen des Krieges nicht zeigen konnte. Deshalb reiste er zu anderen Kinos, um die Filme vorführen zu können. Er beauftrage, die anderen Lichtspielhäuser in größeren Städten, wo es genug Besucher gab, da wir in einem Bezirk lebten, wo es nicht sicher war und die Leute abends Angst hatten aus zu gehen“, sagt Sen Nguyễn.

Im heimischen Kino in Tân Hiệp und in den anderen Städten führte ihr Vater Filme vor, die aus ganz Asien und dem Westen stammten.

Je nach Region bevorzugte das Publikum die Produktion eines bestimmten Landes. In Saigon war das Interesse an englischsprachigen Zelluloid sehr groß.

Während der 1950er und `60er Jahre war Vietnam wichtiger Markt für indische Produktionen, den sogenannten Bollywood Filmen. Als in den `60er Jahren Hong Kongs boomende Filmindustrie ihre Titel erfolgreich in ganz Südostasien vermarkten konnte, stieg auch in Südvietnam, einem Land, wo es auch eine große Gemeinde von Auslandschinesen gab, die Nachfrage.

In der Zeit des Vietnamkriegs konnte eine große Bandbreite an Filmen vorgeführt werden, jedoch achtete Südvietnam strikt auf die Inhalte der Filme, wenn es um Politik oder Moral ging. Die lokale Filmindustrie lockte viele Zuschauer in die Lichtspielhäuser mit kriegsbezogenen Geschichten, wie die 1971 produzierte Romanze Nắng Chiều mit dem Sänger Hùng Cường.

Das Kim Quang war der Ort, wo Sen Nguyễn ihre beiden Kinder, Kevin und Caitlin, heute beide in ihren 40ern, großzog. Ihre Kinder erinnern sich noch durch Erzählungen und alten Familienfotos, die ihre Eltern mit nach Australien brachten, an die ersten Jahre. Jedoch stammen ihre Erlebnisse aus dem Vietnam nach 1975, wo das kommunistische Regime nun im vereinten Vietnam herrschte.

„Wir schauten viele Sachen aus Osteuropa, Filme aus der Tschechoslowakei, Russland, Polen, vieles waren Märchen“, erzählt Kevin Nguyễn.

In der Nachkriegsära durfte das Kim Quang Kino nur Filme zeigen, die vom kommunistischen Regime genehmigt wurden. Mit den Produktionen aus Osteuropa, importierte Vietnam auch den Off-Kommentar, anstatt Untertitel, wo ein Live Skript über die echte Tonspur gelesen wird. Die Stimme ist dabei überwiegend asynchron zu den Lippenbewegungen des Darstellers.

„Ich war gerade in meinem ersten Universitätsjahr, als sich die „Befreiung“ ereignete, sagt Huệ Nguyễn, die jüngere Schwester von Sen, die immer noch in Vietnam lebt.

„Jeder, der Jura studierte, sollte nun auf Lehramt machen, aber das wollte ich nicht, deshalb brach ich das Studium ab“, berichtet sie.

Die Kommunisten ließen Huệ als Skript Sprecherin für die Off-Kommentare drei Monate lang ausbilden. Danach kehrte sie in ihren Heimatort Tân Hiệp zurück.

„Ich lernte, wie man das Skript dramatisiert, der Text war schon übersetzt, ich musste den nur noch vorlesen“, erklärt sie.

Unter dem Regime der Kommunisten wurden die Einnahmen des Kinos zwischen der Familie und der Regierung aufgeteilt. Ungefähr im Jahr 1980 übergab die Familie ihr Kino an die Regierung, die landesweit alle Lichtspielhäuser verstaatlichte.

Jahre später hatte die Nguyễn Familie gehört, dass andere ehemalige Kinobetreiber versuchten ihr Eigentum zurückzufordern.

„Ich bin mir nicht sicher, ob sie erfolgreich waren. Für uns machte es keinen Sinn, nachdem mein Vater verstorben war“, sagt Huệ.

Es existieren heutzutage noch einige staatlich betriebene Kinos in Vietnam, teilweise wiederaufgebaut in größeren Städten, aber die meisten gingen noch vor Ankunft der modernen Filmpaläste in den Ruin.

Nach Jahren der Vernachlässigung durch die Regierung ist heutzutage aus dem Kino der Nguyễns in Tân Hiệp ein größerer Buchladen geworden, der keine Spuren an seine Zelluloidvergangenheit aufzeigt.

Die Nguyễns planen nicht das Kino wiederauferstehen zu lassen, wie andere es gemacht haben.

„Es ist hier keiner mehr. Einige meiner Brüder und Schwestern haben Vietnam verlassen, die leben im Ausland und die, die geblieben sind, die sind schon in ihren 80ern. Ich denke nicht, dass ich die Fähigkeit habe nochmal ein Kino zu betrieben.“, erklärt Huệ Nguyễn.


Der komplette Film Nắng Chiều:
https://youtu.be/KpvJe5Z1xd8


Quelle:
http://www.abc.net.au/news/2017-03-14/in-search-of-vietnams-nearly-forgotten-cinema-history/8349478