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Armut in Vietnam

(a) Armut in Vietnam

Im Jahre 1993 wurde in Vietnam erstmalig landesweit Armutsforschung betrieben, sowohl von Seiten der Regierung als auch von Non-Government-Organisationen (NGO). Erst ab diesem Zeitpunkt existieren Studien und Statistiken über die Armut in Vietnam.

Um die Armutsquote in Vietnam festzulegen, hatte das Ministerium für Arbeit, Soziales und Kriegsinvaliden folgende Indikatoren für Armut in Vietnam herausgegeben1:

1993:
Extreme Armut2:
Unter 8 Kg Reis/ pro Person/ pro Monat

Armut:
Unter 15 Kg Reis/ pro Person/ pro Monat

Seit 1997 wurde eine neue Armutsgrenze herausgegeben:

Extreme Armut:
Unter 13 Kg Reis/ pro Person/ pro Monat, das entspricht etwa 45.000 VND3 (ca. 2,50 Euro)

Armut:
Unter 15 Kg Reis/ pro Person/ pro Monat, das entspricht etwa 55.000 VND (ca. 3,10 Euro)


Von 2001 bis 2005 soll die Armutsgrenze bei 88.000 VND (ca. 4,90 Euro)/ pro Person/ pro Monat liegen. Die Grenze für extreme Armut wird dagegen nicht verändert. Extreme Armut wird hierbei gleichgesetzt mit Hungerleiden bzw. Nahrungsmangel. (vgl. Bui, Minh Dao 2003: 72)

Laut einer Statistik des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Kriegsinvaliden, die 2001 herausgegeben wurde, lag 1993 die Armutsquote im gesamten Land bei 58 %. 1998 lag sie bei 37%, 1999 bei 35,5% und 2000 bei 30,5% (ebenda: S.42 ). Schenkt man denn diesen Zahlen Glauben, kann die Armutsbekämpfung in Vietnam als erfolgreich angesehen werden. Im gesamten Land sinkt die Armutsquote zwar durch armutsmindernde Maßnahmen stetig ab, jedoch lebt immer noch ein großer Teil der Bevölkerung in Armut.

Nach dem Human Development Index 2003 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (sog. UNDP4) nimmt Vietnam den Rang 109 von 175 Ländern ein (vgl. United Nations Development Programme, Internet). Nach deren Daten für 2002 liegt die Armut in Vietnam bei 12%5 unter der nationalen Armutslinie. Wird dagegen von der internationalen Armutslinie6 ausgegangen, liegt die Armut bei 29%7. Aus dieser Differenz wird deutlich, dass die nationale Armutsgrenze im Vergleich zu der internationalen viel niedriger angesetzt ist. So liegt die Armut in Vietnam etwa dreimal höher, wenn vom internationalen Maßstab ausgegangen wird. Der niedrige Lebensstandard in Vietnam wird erkennbar.


(b) Daten zur Armut in Vietnam

Vietnam erhält als Land mit niedrigem Einkommen (Pro-Kopf-BSP 1995 unter 765 US$) in der DAC-Länderliste I öffentliche Entwicklungshilfe. Hierzu einige Daten aus Vietnam, die die Armut verdeutlichen sollen. Als Vergleich werden die Daten von Deutschland, die fast die gleiche Gesamtfläche und Bevölkerungszahl aufweist, daneben aufgeführt.


Tabelle 1: Wirtschaft



Vietnam Deutschland
BIP je Einwohner (2003): 485US$ 27.600 US$
Reales Wachstum des BIP (2003): 7,24% -0,1%
Durchschnittliche jährliche BIP
Wachstumsrate (1999-2003):
6,12% ---
Anteile des BIP nach Sektoren:    
Landwirtschaft 21,80% 1%
Industrie 39,97% 31%
Dienstleistung 38,23% 68%
Arbeitslosigkeit 25% (1995 geschätzt) 10,7% (2003)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


(vgl. United Nations Development Programme, Internet und vgl.
The World Factbook 2004, Internet)

 

Ein deutlicher Niveauunterschied zwischen der Industrienation Deutschland und dem Entwicklungsland Vietnam wird ersichtlich: Mit einem BIP von 27.600 US$ besaß Deutschland 2003 ein etwa 57-faches BIP Vietnams. Dies kann vor allem auf die unterschiedliche Stärke der Wirtschaftssektoren zurückgeführt werden. So liegt in Vietnam der Anteil der Landwirtschaft am BIP bei etwa 22%, in Deutschland dagegen nur bei 1%. Ein weiterer Grund ist die hohe Arbeitslosigkeit, die in Vietnam vorherrscht. So war 1995 ein Viertel der vietnamesischen Bevölkerung von der Arbeitslosigkeit betroffen. Neuere Daten liegen mir leider nicht vor.


Tabelle 2: Soziale Entwicklung

  Vietnam Deutschland
Durchschnittliche Lebenserwartung
(2004):
70,35 Jahre
78,54 Jahre
Mann: 67,86 Jahre 75,56 Jahre
Frau: 73,02 Jahre 81,68 Jahre
Säuglingssterblichkeit pro
1000 Neugeborene:
29,88 4,2
Geburtenrate (2004): 2,22/ Geburten
pro Frau
1,38/ Geburten
pro Frau
Tägliche Nahrungsaufnahme
pro Einwohner (cal.):
2590 cal.
3430 cal.
Gesundheitsausgaben
(US$ je Einwohner):
1742,75 US$
5,39 US$

 


 

 

 

 

 

 

 


(vgl. The World Factbook 2004, Internet und vgl. Welt in Zahlen, Internet)

 

Im Vergleich zu Deutschland liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Vietnam um etwa 8 Jahre niedriger. Als Gründe für die niedrigere Lebenserwartung können die unzulängliche Nahrungsversorgung, mangelnde Hygiene sowie unzureichende medizinische Versorgung genannt werden. So lebt im Jahre 2002 noch 12% der vietnamesischen Bevölkerung unter der nationalen Armutslinie, d.h. sie leiden über einige Zeiträume hinweg unter Nahrungsmangel. Auch die tägliche durchschnittliche Nahrungsaufnahme ist im Vergleich zu Deutschland um fast ein Viertel weniger. Und die durchschnittliche jährliche Gesundheitsausgaben je Einwohner betragen nur 0,3% der Ausgaben von Deutschland. Die unzureichende medizinische Versorgung zeigt sich ebenfalls an der hohen Säuglingssterblichkeitrate in Vietnam. Sie beträgt das 7-fache von Deutschland.

 

Tabelle 3:
Bildungsgrad (Definition: Bevölkerung ab 15, die lesen und schreiben können)

(vgl. The World Factbook 2004, Internet und vgl. Welt in Zahlen, Internet)

  Vietnam Deutschland
Bevölkerung gesamt (2003):
94% 99%
dMann: 95,80% ---
Frau: 92,30% ---
Studenten pro 1000 Einw.:
6 21,85

 

 

Die Bildungssituation in Vietnam ist wesentlich schlechter als in Deutschland. Dies wird deutlich an der höheren Analphabetenrate sowie der niedrigen Studentenzahl in Vietnam. So gibt es in Deutschland fast 4 mal so viele Stundenten je 1000 Einwohner und die Analphabetenrate ist um etwa das 6-fache geringer.

Insgesamt betrachtet besteht ein deutlicher Niveauunterschied zwischen den beiden Ländern. Die Industrienation Deutschland ist Vietnam in allen Bereichen überlegen. Sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen und gesundheitlichen, ebenso im Bereich der Bildung. Die Armut in Vietnam wurde anhand der oben genannten Daten allzu ersichtlich.


(c) Gegenwärtige Situation in Vietnam

In Vietnam hat sich zwar seit der Reformpolitik der Lebensstandard verbessert, aber soziale Gegensätze sind noch allgegenwärtig. Es hat sich in den letzten 10 Jahren neben einer starken Mittelschicht eine Schicht der Neureichen herausgebildet. So werden die Kontraste zwischen Arm und Reich, zwischen Land und Stadt sowie zwischen abgelegenen Regionen und Ballungsgebieten immer stärker. Die Asia Times online schrieb in ihrem Artikel „Gap grows between Vietnam's haves and have-nots” dazu folgenden Artikel:

But economists remark that the growth could be better if the gains had been shared more evenly across different groups in the population and geographical regions of the country. According to these experts, while the growth has benefited rich and poor alike, those who were well off to begin with ended up with more gains. In 1999 alone, the richest 20 percent of the population earned 7.3 times as much as the poorest 20 percent”
(vgl.
Asia Online Times, Internet).

Somit verdienen 20 % der Bevölkerung etwa 7,3 Mal soviel wie die 20 % der Ärmsten. Ein weiterer Hinweis für das „Auseinanderdriften“ der sozialen Gruppen lässt sich auch daran erkennen, dass zwar 75% der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, sie aber nur 21,80% des BIP erwirtschaften. Die Marktwirtschaft und der wissenschaftlich-technische Fortschritt konzentrieren sich in den Städten und den Ballungszentren. Auf dem Land steht trotz der Zunahme an Güterproduktionen die bisherige Selbstversorgungswirtschaft im Vordergrund, da die Kaufkraft der Landwirte aufgrund der enormen Preisunterschiede zwischen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnissen nicht gesteigert werden konnte.

Die extreme Armut auf dem Land veranlasst viele dazu, in die Städte oder Ballungszentren zu ziehen („Landflucht“), in der Hoffnung dort ihre Lebensbedingungen verbessern zu können. Das bestehende soziale Netz auf dem Land, das Kindern, kranken und alten Menschen bisher durch Familie und Dorfgemeinschaft Schutz und Fürsorge bot, beginnt ins Wanken zu geraten. So ist es vor allem die junge Generation, die in die Städte auswandert, zurück bleiben Alte und Kinder. In den Städten widerum fehlen den jungen Familien die Strukturen der Großfamilie: Kinder werden oft vernachlässigt, weil die Eltern arbeiten müssen und keine Großeltern da sind, die die Kinder betreuen können. Ein für die breite Bevölkerung angelegtes Sozialsystem einer staatlich garantierten Grundversorgung im Sinne des deutschen Sozialsystems besteht in Vietnam praktisch nicht. So müssen beispielsweise Krankenhaus- und Behandlungskosten zum größten Teil selbst gezahlt werden. Erst neuerdings entwickelt sich allmählich eine private Versicherungswirtschaft.


Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Reformpolitik der Kommunistischen Partei Vietnams seit 1986 das Land aus der wirtschaftlichen Krise herausgeführt und zahlreiche Fortschritte initiiert hat. Gleichzeitig existieren jedoch weiterhin Faktoren, die einen marktwirtschaftlichen Aufschwung behindern, wie die oftmals etwas undurchsichtige und sich schnell ändernde rechtliche Lage oder die allgegenwärtige Korruption in Vietnam. Daneben hat sich eine soziale Schieflage ergeben. Beispielsweise lässt eine bestehende ungleiche Einkommensverteilung die soziale Schere zwischen Arm und Reich größer werden, eine zunehmende Landflucht zugunsten der Stadt schafft neue Belastungen. Das Armutsproblem konnte durch die Reformen somit nicht effektiv gelöst werden. Vietnam gehört bis zum heutigen Tag noch zu einem von vielen armen Entwicklungsländern.


Anmerkungen

1) Da in Vietnam der Reis als Hauptnahrungsmittel gilt, wird als Armutsindikator der Reis als Messwert genommen, die einer Person pro Monat zur Verfügung steht (vlg. Bui Minh Dao 2003).

2) Armut wird differenziert in absolute bzw. extreme Armut und relative Armut. Als absolut arm gilt, wer nicht über die Ressourcen verfügt, um seine elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen. Absolute Armut bedeutet also ein Mangel an Gütern, die zum physischen Überleben erforderlich sind, wie Nahrung, sauberes Trinkwasser, Wohnung, Kleidung. Bei der relativen Armut, wird die Armut in Relation zum durchschnittlichen Lebensstandard innerhalb eines Landes betrachtet. Relative Armut drückt in erste Linie soziale Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft aus. (http://www.aktionsprogramm2015.de/www/begriffdefinition_14_18_4_f.htm?query=)

3) VND: Vietnam Dong ist die vietnamesische Währung. Durchschnittlicher Wechselkurs:
1 Euro= 18.000 VND

4) UNDP: United Nations Development Programme ist das Entwicklungs- programm der Vereinten Nationen. Die UNDP gibt jährlich eine Studie, der Weltentwicklungsbericht (Human Development Report), heraus, dass die Entwicklung von Armut und Reichtum auf der Welt beschreibt. Der darin enthaltene Human Development Index (HDI) listet dabei die Länder nach dem Bildungsgrad, Einkommen und durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen auf (http://www.net-lexikon.de/UNDP.html).

5) percentage poor, national poverty line, 2002 (http://www.undp.org.vn//undp/fact/base.htm)

6) The World Bank´s world poverty counts use an international poverty lines of approximately $1 and $2-a-day at 1995 international purchasing power parity prices. […] While a common money standard is certainly not the only possibility, the rhetoric of a $1-a-day standard has been enormously successful, particularly for the first- world and international agency audience to which it is primarily directed. [...] For most of its country work, the World Bank (like policymakers in each country) uses the national poverty lines that exist for many countries […].” (Deaton, Angus 2002, S. 4)

7) percentage poor households, international poverty line, 2002 (http://www.undp.org.vn//undp/fact/base.htm)


Literatur

United Nations Development Programme
www.undp.org.vn/undp/fact/base.htm
(Stand: 12.05.04)

Deaton, Angus 2002, S. 4 hdr.undp.org/docs/publications/background_papers/2003/HDR2003_Deaton.pdf (Stand: 27.07.2004)

Asia Times Online
www.atimes.com/se-asia/DD10Ae03.html
(Stand: 15.05.04)

Net-lexikon A
www.net-lexikon.de/UNDP.html

(Stand: 15.05.2004 )

Aktionsprogramm 2015 www.aktionsprogramm2015.de/www/begriffdefinition_14_18_4_f.htm?query (Stand:12.05.2004)

Bui Dinh Dao 2003
Bui, Minh Dao: Mot so van de giam ngheo o cac dan toc thieu so Viet Nam. 1. Auflage. Hanoi, Nha xuat ban khoa hoc xa hoi 2003

The World Factbook 2004
www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/gm.html
(Stand: 04.08.04)