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Tödlicher Elektroschock am Geldautomaten

toedlicher_elektroschock.jpgEin 10 Jahre altes Mädchen starb, als es einen Geldautomaten berührte – dies ist ein Beispiel einer Serie von Vorfällen an mangelhaften installierten Geldautomaten in Vietnam.
Ein 10 Jahre altes Mädchen starb, als es einen Geldautomaten berührte – dies ist ein Beispiel einer Serie von Vorfällen an mangelhaften installierten Geldautomaten in Vietnam. Seit das kommunistische Vietnam vom Konsum ergriffen wurde, gibt es auf Seiten der Bürger immer mehr offene Fragen zum maroden Zustand und der mangelhaften Absicherung des Stromnetzes.

Bericht aus Saigon, Vietnam

Vor zwei Monaten spielte Chau Linh Uyen vor ihrer Grundschule in Saigon, als sie unweit des Haupteinganges einen Geldautomaten berührte.

Ein Strom von mehreren 100 Volt floss durch den kleinen Körper der 10-jährigen Viertklässlerin, Schaum kam aus ihrem Mund und sie verlor das Bewusstsein. Sie starb innerhalb weniger Minuten.

Der Unfall ereignete sich an einem Geldautomaten der staatlichen Bank, der unzureichend geerdet war. Eine durchgeführte Untersuchung wenige Tage später ergab, das 121 von 866 Cash-Maschinen, die sich in der Stadt befinden, mangelhaft waren. Die elektrischen Leitungen besaßen direkten Kontakt zum Eingabefeld und anderen Oberflächen, was lebensgefährlich ist.

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Kabelwirrwarr in den Straßen Vietnams

Seit das kommunistische Vietnam vom Konsum ergriffen wurde, gibt es auf Seiten der Bürger immer mehr offene Fragen zu Pfusch am Bau oder der mangelhaften Absicherung des Stromnetzes.

„Wenn du mir die modernen Dinge des Lebens gibst, so gehe ich davon aus, dass sie sicher sind“, sagte Chia Mai, ein Schriftsteller. „Niemand dachte, dass Geldautomaten Menschen töten könnten. Plötzlich hast du das Gefühl: ‚Oh mein Gott, das könnte mir auch passieren‘“.

Der Tod des Mädchens ist der bisher letzte von einer Kette tragischer Unfälle. Im April 2009 saß eine 22 Jahre alte Frau in der Au Co Straße in Saigon im Stau fest, als ein Hochspannungskabel auf sie herunter fiel, sie starb sofort.

Im August fuhr ein 13-jähriger Junge nach heftigen Regenfällen mit seinem Fahrrad durch eine Pfütze und erlitt einen Stromschlag durch eine defekte Straßenlaterne.

Einen Monat später ereignete sich ein ähnlicher Fall, als ein 10-jähriger Junge während des Fußballspielens im Regen einen Stromschlag durch ein defektes städtisches Erdkabel erlitt.

Die Regierung versprach die Sicherheitsstandard zu verbessern, um die Zahl der Personen, die durch Stromschläge ums Leben gekommen sind, zu reduzieren. Nach Angaben des Ministeriums für Industrie und Handel liegt die Zahl bei 450 – 500 jährlich.

Trotz der Zahlen von Toten durch Stromschläge ist der Appetit nach modernen elektronischen Artikeln nicht rückläufig. Im riesigen Elektromarkt ‚Nguyen Kim‘, in der Innenstadt, wird auf drei Stockwerken alles angeboten.

Nguyen Van Toan, 56, Ingenieur einer Textilfabrik, macht eine Pause neben der Rolltreppe und schaut etwas übermüdet auf seiner Suche nach einem 37- Zoll Fernseher.

„Ich habe ein 29-Zoll Model aber ich brauche etwas größeres“, sagte er. „Klar bin ich besorgt über den Zustand der Elektrizität und den Vorfall am Geldautomaten. Aber unser Haus hatte bis jetzt noch nie Kurzschlüsse, so ist eigentlich alles in Ordnung.“

Die Bereitschaft Schlechtes für etwas Gutes zu akzeptieren reflektiert die rasante Veränderung in Vietnam, so sagen es Sozialwissenschaftler. Für ein Land das vor zwei Jahrzehnten kaum elektrifiziert war, ist der Tod einiger der akzeptable Preis des rasanten Fortschritts.

In den letzten zehn Jahren betrug das Wirtschaftswachstum im Mittel jährlich 7%, währen der Anteil derer, die in Armut leben im letzten Jahr auf 11% fiel. Zum Vergleich: 1993 waren es noch 58%. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei ca. $1000, im Jahr 2000 waren es noch $400.

„Die Dinge ändern sich so schnell, die Soziologen können gar nicht Schritt halten“, sagte die Journalistin Lan Anh Nguyen.

Phan An ist eines dieser Beispiele. Der 26 Jahre alte freiberufliche IT-Fachmann wuchs mit fünf Geschwistern in Danang ohne Strom und fließend Wasser auf. Gebadet wurde in den überfluteten Reisfeldern, Licht gab es mit der Öllampe, man schlief mit der gesamten Familie in einem großen Raum und zur Schule musste man 5km zu Fuß gehen.

Heutzutage sitzt Phan an seinem Computer und hört sich digitale Musik-Dateien an. Er lebt in einer 2-Zimmer-Wohnung, die er sich mit einem Freund teilt. Noch vor ein paar Jahren befanden sich an dieser Stelle Felder. Im Haus stehen ein Ventilator, eine Waschmaschine (mit „Fuzzy Logic 6.4“), ein Flachbildfernseher, ein Kühlschrank der Marke „Sanyo“ und eine E-Gitarre.

Nach Phans Ansicht ist der Vorfall mit dem defekten Geldautomat eine Tragödie, aber die wirklichen Probleme liegen ganz woanders: Ein korruptes System, das die Bürger nicht schützen kann oder ihnen Gehör verleiht, was eine Gesellschaft ausmacht.

„Der Tod am Bankautomaten, der Junge in der Pfütze, das sind Symptome eines Systems das nicht funktioniert“, sagte er.

Für einige liegt die Antwort in härteren Strafen.

„Würde man Geschäftsleute damit konfrontieren, dass ihnen die Pleite und viele Jahre im Gefängnis drohen für Todesfälle am Geldautomaten, dann würden sie aufhören, das Sicherheitsproblem zu ignorieren“, erklärte ein Student in Saigon.

Andere, auch jene die sich an Saigons Dekadenz vor der Machtübernahme der Kommunisten erinnern, fordern eine bessere Bildung in Ethik und den fundamentalen Werten.

„Die jungen Leute haben wenig Moral und die Gesellschaft denkt nur ans Geld“, berichtete Nguyen Thanh Minh, 56, ehemaliger Soldat der Republik Südvietnam, der nach Kriegsende 1975 sieben Jahre in einem Umerziehungslager im Dschungel verbrachte. „Es ist schlimmer als das alte Saigon.“

Der Vorfall mit dem Geldautomaten zeigt wie weit Vietnam gekommen bzw. nicht gekommen ist, sagte Chuck Searcy, Repräsentant der Stiftung Vietnam Veterans Memorial und Bewohner Hanois seit 1995.

Einerseits ist die Mittelklasse wohlhabend und stolz, was sie erreicht haben, erklärte er. Gleichzeitig werden luxuriöse Gebäude mit viel zu viel Sand im Beton errichtet und bei Bürotürmen sind Steine verschwunden.

„Sie sind dem gleichen Muster, wie in den USA gefolgt, ungeachtet von jeglichen Bedenken“, sagte Searcy. „ Früher bewunderte ich ihre Familientraditionen und ihre wahre Stärke. Aber jetzt ist alles oberflächlich - nur noch Habgier.“

Seit ein paar Tagen weist nun weißes Schild der Agribank am Geldautomaten, vor der Nguyen Thai Binh Grundschule, darauf hin, dass das Gerät wegen Wartungsarbeiten zurzeit nicht im Betrieb sei. Nach dem tödlichen Vorfall untersucht die Polizei, ob Bankmitarbeiter die elektrische Versorgung des Automaten fahrlässig entlang eines Treppenaufganges gelegt hätten.

Der zuständige Chef der Vietcombank für den Bereich Geldautomaten erzählte der Tageszeitung Tuoi Tre, dass Vermieter oftmals Elektriker verweigern würden, die Verkabelung unterirdisch zu realisieren. Gründe seien die Kosten und die Optik. Auch würden die zuständigen Betreiber dieser Automaten einen der drei Kontakte, der im Ausland gefertigten Stecker herausschneiden, damit diese in Vietnams 2-Kontakt-Steckdosen passen, so fehle jedoch die Erdung.

All das bietet Eltern wenig Trost, die sich zunehmend unsicherer fühlen.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagte Minh Hang, die ihren Sohn aus der 1.Klasse abholt. Die Schule ist nun umzäunt und hindert die Schüler in den Pausen außerhalb des Eingangs zu spielen. „Wir haben Angst. Die Kinder sind verängstigt, die anderen Eltern sind verängstigt – jeder hat Angst.


Quelle: www.latimes.com