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Vietnamesische Boat-People danken Deutschland

Gedenkfeier im Münchener Salesianum mit Rupert Neudeck / Integrationsleistung gewürdigt
 

 Ehrung der Unterstützer und wichtiger Personen

Knapp dem Tod entronnen waren die meisten der vietnamesischen „Boat-People“, die seit Ende der siebziger Jahre nach Deutschland gelangten. Am vergangenen Samstag hat die „Gemeinschaft der vietnamesischen Flüchtlinge in Bayern“ mit einer großen Veranstaltung im Münchner Salesianum an ihr 30-jähriges Flüchtlingsdasein erinnert und Deutschland für die Aufnahme gedankt.

„Meine Rettung ist für mich ein Wunder“, erklärt der 44-jährige Pater Augustinus Pham gegenüber der „Tagespost“. Um dem kommunistischen Regime in Vietnam zu entgehen, hatte der junge Son Ha Pham wie Hunderttausende andere „Boat People“ verzweifelt die Flucht über das Meer gewagt. 27 Personen, darunter auch sein Bruder, zählte das kleine Boot, mit dem sie 1982 in Richtung Thailand in See stachen. Zweimal wurden sie von thailändischen Piraten überfallen und misshandelt. Völlig erschöpft wurden sie nach zwei Wochen vom deutschen Rettungsschiff „Cap Anamur“ aus dem Chinesischen Meer gefischt. „Dieses Erlebnis“, sagt der aus einer katholischen Familie im Mekong-Delta stammende heutige Pater, „hat meinen Glauben verstärkt. Ich bekam mein Leben neu geschenkt.“ In Deutschland studierte er Theologie, trat 1999 in den Benediktinerorden ein und arbeitet jetzt im Kloster St. Ottilien. Dabei versucht er auch von Deutschland aus die Kirche in Vietnam zu unterstützen.  Im Gespräch mit der "Tagespost" weist er besonders auf die akut gefährdete Lage von Pfarrer Nguyen Van Khai von der Gemeinde Thai Ha in Hanoi und von Rechtsanwalt Luat Tran Le hin, der die Gemeinde in einem Rechtsstreit um Kircheneigentum vertritt.

Die Cap Anamur lief vor 30 Jahren, am 9. August 1979, erstmals aus dem Hafen der japanischen Stadt Kobe Richtung Süden aus. Das 90 Meter lange Frachtschiff hatte der Deutschlandfunk-Journalist Rupert Neudeck gechartert. Ihn hatten die Berichte über die Tragödien auf hoher See in Südostasien alarmiert. Die Lage wurde noch dadurch verschärft, dass die Regierung Malaysias im Juni 1979 ihrer Marine befahl, auf vietnamesische Flüchtlingsboote auch zu schießen, wenn sie sich dem Ufer näherten. Mit der ihm eigenen bewundernswerten Radikalität und Hartnäckigkeit hatte Neudeck daraufhin die Spendengelder für die Aktion zusammengetrommelt und das Komitee Cap Anamur / Deutsche Notärzte e.V. gegründet. 10 375 Männer, Frauen und Kinder konnte die Cap Anamur auf ihren Fahrten bis zum Jahr 1986 vor dem Ertrinken bewahren.

      Danke Deutschland

Einige Hundert Menschen konnten auch durch deutsche Handelsschiffe gerettet werden. Man darf jedoch nicht vergessen, dass insgesamt schätzungsweise eine halbe Million Vietnamesen bei ihrem Fluchtversuch übers Meer ums Leben kamen. Mit tosendem Beifall empfingen im Salesianum die aus ganz Bayern mit ihren Familien angereisten Vietnamesen Rupert Neudeck und seine Frau Christel, seine tatkräftige Helferin bei allen humanitären Aktionen. Unter den Gästen war auch der frühere Kapitän Rudolf Klein, der mit seinem unter deutscher Flagge fahrenden Containerschiff „Melbourne Express“ 225 Vietnamesen aus höchster Not gerettet hatte. Neudeck betonte in einer Ansprache, dass die Fahrten der Cap Anamur nur durch eine große Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung möglich waren. Unter den Politikern habe sich um die Aufnahme der Flüchtlinge besonders der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) verdient gemacht: „Er war der einzige Politiker in Deutschland, der uns immer ein Telegramm schickte mit den Worten: ´Ich beglückwünsche Sie, dass wieder Menschen gerettet worden sind.`“ Neudeck erklärte, die Integration der Vietnamesinnen und Vietnamesen in unsere Gesellschaft sei hervorragend gelungen und sie stellten eine große Bereicherung für uns dar. Sie wüßten, dass ihnen von den Deutschen geholfen worden sei und unternähmen nun ihrerseits viele Anstrengungen, auch anderen zu helfen.

In Vertretung von Oberbürgermeister Christian Ude würdigte der stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende im Münchner Stadtrat, Hans Podiuk, die Leistung der Vietnamesen.Die Landeshauptstadt hatte bereits Ende 1978 den Beschluss gefasst, zunächst 30 Flüchtlinge aus Vietnam aufzunehmen. Podiuk hatte damals selbst den Vorsitz eines Vereins zur Hilfe für die Flüchtlinge inne. Diese musste man unterbringen, man musste Zuständigkeiten mit den Behörden klären, Arbeit finden. Traumatische Erlebnisse, zerrissene Familien, unterschiedliche Ausbildungen gehörten ebenfalls zu den Problemen. „Wenn ich heute zurückschaue“, erklärte Podiuk, „war die Integration zwar von der großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung getragen, aber ganz besonders ist die persönliche Lebensleistung der Zuwanderer zu würdigen.“ 


 Das Salesianum war sehr gut gefüllt

Die Vietnamesen hätten sich selbst sehr um eine schnelle Eingliederung bemüht, Deutsch gelernt, sich als anpassungsfähig und dynamisch erwiesen. Dabei seien sie auch bereit gewesen, Arbeiten weit unterhalb ihrer ursprünglichen Qualifikationen anzunehmen. Zugleich hätten sie die Werte ihrer alten Heimat hochgehalten. Dazu gehört neben einem starken Bildungsstreben ein großer Familiensinn. Auch andere Grußwortredner wie die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt, Nikolaus Hoenning von den Münchener Grünen oder Knut Lehmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zollten den Vietnamesen, die inzwischen bei uns bereits in der zweiten und dritten Generation verankert sind, Respekt und Anerkennung. Der Diplom-Informatiker Le Quang Tranh von der Gemeinschaft der vietnamesischen Flüchtlinge in Bayern dankte den Deutschen nachdrücklich für ihre Hilfe. Zugleich erinnerte er an die schwere Anfangszeit seiner Landsleute in Deutschland: „Wir waren voller Sorgen und Ängste in einem Land, das uns völlig fremd war. Wir hatten nur eine Gewissheit: es würde ein Leben in Freiheit sein.“ Die hohe Wertschätzung von Freiheit und Demokratie zieht sich auch als roter Faden durch einen 350 Seiten starken zweisprachigen Erinnerungsband, den die Gemeinschaft der Vietnamesen aus Anlass des Jubiläums vorgelegt hat. Vor allem um der Freiheit willen sei man aus der Heimat geflohen, in der immer noch die Menschenrechte missachtet werden.

Der Band enthält bewegende Geschichten von Flucht und Rettung. Mit berechtigtem Stolz wird auch auf das verwiesen, was man sich mit ungeheurem Fleiss und harter Arbeit praktisch aus dem Nichts in Deutschland geschaffen hat. In einigen wenigen Beiträgen wird aber auch angedeutet, mit welchen Vorurteilen viele Neuankömmlinge zu kämpfen hatten. Der 1979 noch in Vietnam geborene Mathematiker Hoang Nguyen Tuan Khanh berichtet: „Es war nicht leicht für uns in einem kleinen bayerischen Dorf zu leben. Durch unser fremdes Aussehen wurde mit Fingern auf uns gezeigt, man traute uns nichts zu und viele wollten mit uns nichts zu tun haben.“ Ein anderer vietnamesischer Autor schreibt: „Seit den ersten Tagen in Deutschland war ich bereits aus dem Alter, in dem später meine Kinder alle paar Wochen heulend von den Pöbeleien ihrer Mitschüler berichteten, und so sind mir diese ´Tsching-Tschang-Tschong!`-und verletzendere Zurufe weitgehend erspart geblieben. Ab und zu mit ´Ich nix verstehen!` und verscheuchenden Gesten weggeschickt zu werden, noch bevor man den Mund aufmacht, um nach dem Weg zu fragen, kann zur Not noch dem eigenen Outfit zugeschrieben werden. Aber einem Sohn noch im unschuldigen Alter plausibel zu erklären, weshalb nur wir und sonst keiner im ganzen Trambahnwagen gezielt nach dem Fahrschein gefragt wurden, fiel mir schwerer.“ Viele Jüngere aus der Boat-People-Generation haben ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein und sind zu sozialem Engagement bereit.


  Herr und Frau Neudeck werden geehrt

Die Medizinstudentin Thi Cam Nhung Bui aus Nürnberg war 18 Monate alt, als sie 1980 mit ihren Eltern in Deutschland eintraf. Sie schreibt: „Noch heute bekomme ich feuchte Augen, wenn ich von den verschiedenen Geschichten der Boat People höre. Ich weine vor Glück, weil meine Eltern und ich körperlich unversehrt gerettet wurden und in Deutschland unsere Heimat gefunden haben, aber auch vor Trauer, weil so viele andere bei ihrer Flucht umkamen. Ich möchte auf jeden Fall in den nächsten Jahren an einer der Rettungsaktionen der Cap Anamur als Ärztin teilnehmen, denn das bin ich der Cap Anamur schuldig.“ Die 1987 in Nürnberg geborene Bui Thuy Mong Tham studiert Lehramt für katholische Religion und Englisch. Sie schreibt: „Ich danke Gott so sehr, dass die Cap Anamur unter Leitung von Herrn Rupert Neudeck meine Eltern und meine Schwester sowie die anderen Flüchtlinge vor dem Tod bewahrt haben. Ich sehe die Demokratie, die Religions-, Presse-und Meinungsfreiheit in Deutschland nicht als Selbstverständlichkeit an. Wir dürfen nicht vergessen, warum unsere Großeltern, Eltern und Familien aus Vietnam geflohen sind. Wir tragen unseren Landsleuten gegenüber die Verantwortung, uns unermüdlich für ein freies Vietnam einzusetzen.“ Die Gruppe der Bootsflüchtlinge aus Südvietnam einschließlich ihrer später über die Familienzusammenführung eingereisten Angehörigen zählt rund 40 000 Menschen in Deutschland. Die Bootsflüchtlinge wurden anerkannten Asylbewerbern in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht gleichgestellt.

Eine von den Bootsflüchtlingen verschiedene Gruppe -deren rechtliche Situation sich auch ganz anders darstellte -waren die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR. Ihre Zahl betrug im Jahr 1989 rund 60 000 Personen. Abgesehen davon, dass sich unter ihnen auch nicht wenige Kommunisten aus Nordvietnam befanden, wurden sie in der DDR als billige Arbeitskräfte unter diskriminierenden Bedingungen ausgenutzt. So mussten sie beispielsweise zwar sämtliche Sozialabgaben entrichten, konnten aber kein soziales Netz beanspruchen. Sie waren zur Zwangsmitgliedschaft beim FDGB verpflichtet und mussten Beiträge zahlen. Zwölf Prozent ihres Lohnes mussten sie an die Sozialistische Republik Vietnam abführen. Es gab für sie keine Familienzusammenführung. Im Falle einer Schwangerschaft mussten die Frauen abtreiben oder wurden abgeschoben. 


  Der unser-Vietnam Stand

Im Jahr 1995 schloss die Bundesrepublik mit Vietnam ein Rückübernahmeabkommen. Dessen Erfüllung gestaltete sich jedoch aus verschiedenen Gründen sehr schwierig. Rund 34 000 der Vertragsarbeiter kehrten nach dem Zusammenbruch der DDR in ihre Heimat zurück. Der Aufenthaltsstatus der in Deutschland Verbliebenen blieb lange ungesichert.Besonders in den neuen Bundesländern sahen sich die Vietnamesen zudem mit einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit konfrontiert. Viele Asylanträge scheiterten. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich im Jahr 1994 in München. Der 27-jährige Son Ha Hoang aus Hanoi beging Selbstmord, als er vom Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen Ablehnungsbescheid erhielt. Son Ha Hoang war ab 1987 drei Jahre lang als Vertragsarbeiter in der DDR. Er kehrte zunächst nach Hanoi zurück, wo er sich gemeinsam mit einer oppositionellen Schriftstellerin für mehr Demokratie engagierte. Er kam für ein paar Wochen ins Gefängnis und wurde nur unter Auflagen freigelassen. Mit Hilfe von Schleppern gelangte er zurück nach Deutschland. Als er den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes erhielt, übergoss er sich aus Verzweiflung im Münchner Ostpark mit Benzin und verbrannte sich selbst.